Rechenverfahren nach Gustav Niemann
Den Grundstock der ersten aus heutiger Sicht halbwegs brauchbaren Zahnrad-Tragfähigkeitsrechnung legte Professor Gustav Niemann in den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts. An der Technischen Universität München leitete er ab 1951 die „Forschungsstelle für Zahnräder und Getriebebau (FZG)”, und entwickelte dort Rechenverfahren für die Schadensbilder Zahnbruch, Grübchen und Fressen. Neben zahlreichen Forschungsberichten wurde dieses Rechenverfahren 1963 in seinem Buch „Maschinenelemente, Bd.2“ veröffentlicht und fand schnell Verbreitung. Angelehnt an diese Entwicklungen erschien 1970 die erste Fassung der DIN 3990.
Zur Durchführung dieser Berechnungen genügten im Prinzip die Gleichungen, Tabellen und Diagramme des Buches in Kombination mit einem damals üblichen Rechenschieber. Die ersten Taschenrechner mit wenig mehr als den 4 Grundrechenarten (und daher für Ingenieure noch nicht sonderlich brauchbar) gab es erst um 1970.
Rechenverfahren nach Niemann/Winter bzw. DIN 3990
Als Nachfolger von Prof. Niemann an der Münchener FZG führte Prof. Hans Winter dessen Arbeiten fort. Die Rechenverfahren wurden ständig verfeinert, in der Durchführung damit aber auch immer aufwändiger und komplizierter. Parallel arbeitete Prof. Winter intensiv in internationalen Normungsgremien mit. Die neue, 1987 erschienene DIN 3990 war nicht nur das Ergebnis wissenschaftlich herausragender Arbeit, sondern wurde gezielt so verfasst, dass eine breite internationale Akzeptanz folgte.
Für fast alle Rechenschritte wurden mehrere Verfahren mit absteigender Wertigkeit definiert:
- Methode A
Ermittlung von Einflussfaktoren durch genaue Messung am ausgeführten Getriebe oder durch realitätsgetreue Simulation. - Methode B
Berechnung von Einflussfaktoren durch meist umfangreiche Näherungsgleichungen, die aus Versuchen mit Standard-Testrädern abgeleitet wurden. - Methode C
Berechnung von Einflussfaktoren mit einfachen Näherungsgleichungen, meist mit Unterstützung von Zwischenwerten, die aus Diagrammen oder Tabellen abzulesen sind. Der Gültigkeitsbereich ist dabei oft eingeschränkt, deckt aber viele Standardanwendungen ab. Die Ausführungen im Buch „Maschinenelemente 2“ entsprechen dieser Methode C.
Der Nachteil dieses neuen Rechenmodells (Methode B) war, dass es manuell kaum noch durchführbar war, es sei denn man begnügte sich mit einer Überschlagsrechnung. Für diesen Zweck wurde die so gerade noch taschenrechnertaugliche Rechenmethode C beibehalten. Auch für die internationale Akzeptanz war diese Methode C wichtig. Glücklicherweise waren zumindest an den Universitäten und in den führenden Industriebetrieben Großrechner verfügbar, so dass ein neues Berechnungsprogramm nach DIN 3990 schnell Verbreitung fand. Die Erstellung und Weiterentwicklung dieses „Stirnradprogramms“ an der FZG wurde und wird heute noch von der Forschungsvereinigung Antriebstechnik (FVA) gefördert. Das hier angebotene Rechenprogramm AZP spielt hinsichtlich der Qualität der Rechenergebnisse in der gleichen Liga, steht aber uneingeschränkt zur Verfügung.
In der Produktion wurden mittlerweile entsprechend wirtschaftliche und präzise Fertigungsverfahren eingeführt und es war fast vollständig ein Übergang von vergüteten auf gehärtete Zahnräder erfolgt. Die Leistungsdichte konnte dadurch erheblich gesteigert werden. Die verfeinerten Berechnungsverfahren waren daher auch dringend notwendig.
Ebenfalls 1987, parallel zu DIN 3990, erschien in der DDR der dortige Standard TGL 10545, der etwa mit der DIN-Methode C vergleichbar war.
Rechenverfahren nach ISO 6336
Die DIN 3990 ist heute noch in der Fassung von 1987 gültig, und es sieht so aus, als ob hier kein direkter Nachfolger erscheinen wird. Aufgrund der internationalen Akzeptanz der deutschen DIN 3990 wurde bereits im Jahre 1996 die erste Fassung der ISO 6336 veröffentlicht, die sich inhaltlich weitgehend an die Vorgaben der DIN hielt. Weiterentwicklungen der Zahnrad-Tragfähigkeitsrechnung fließen seitdem direkt in diese ISO-Norm ein. Folgeversionen der ISO 6336 gab es dann 2003, 2006 (mit Corrigendum 2008) und 2019. Mit anderen Worten: Die DIN gilt zwar im Großen und Ganzen noch, ist aber auch nicht mehr so richtig „up-to-date“. In hochwertigen Anwendungsbereichen wird daher seit Jahren nur noch nach ISO gerechnet.